Eine Totenklage, auch für Skeptiker
Das Holocaust-Mahnmal in Berlin-Mitte, das so lange und heftig umstritten war, wird zuletzt fast alle zusammenführen. Das Stelenfeld ist schon seit Dezember letzten Jahres fertig, inzwischen ist auch der unterirdische «Ort der Information» eingerichtet. Was fehlt, ist noch die Reaktion des breiten Publikums. Die Kritik aber ist durchweg beeindruckt von Peter Eisenmans Arbeit, und auch die Passanten, soweit sie derzeit durch die Zäune schauen, äussern sich zustimmend, fast befriedigt
Derzeit werden gern Fotos abgebildet, die das Stelenfeld von oben zeigen und den Eindruck sanfter, schwingender Bewegung machen. Aus höher gelegenen Stockwerken der umliegenden Häuser wird es auch so aussehen. Der Fussgänger nimmt es anders wahr, härter, strenger. Die unterschiedlich hohen Stelen beschreiben aus Augenhöhe keine durchgehende Woge, sie staffeln sich, der einzelne Pfeiler ist vor dem nächsten, höheren gut zu sehen. Begibt man sich in das Feld hinein, so verstärkt sich der Eindruck. Da ist das strenge rechtwinklige Raster, in dem die Pfeiler angeordnet sind, die gleichmässig matt-graue Farbgebung (oder Farblosigkeit) von Pfeilern und Boden, die Scharfkantigkeit der Stelen. Doch fühlt man sich weder eingeschlossen noch verloren. Die Strenge des Rasters schafft auch den jederzeit freien Blick in vier Richtungen. Die Gänge sind gerade so breit, dass zwei Menschen aneinander vorbeigehen können, ein wenig Rücksicht vorausgesetzt. Der Boden fällt zur Mitte des Geländes in Wellen ab, dieHöhe der Stelen steigt und sinkt, und vor allem sind die Stelen leicht aus der Lotrechten geneigt, das löst die Strenge dann ein wenig.
Das Verhältnis von Strenge und Auflösung ist auch eines von Masse und Individualität. Grösse, Ebenmässigkeit, Abstraktion des Werkes schliessen sentimentale Einfühlung aus. Der Verwaltungsvorgang des Massenmords, der noch die Totenklage, den letzten Respekt ausschloss, wird nicht durch falsche Anschaulichkeit weggetröstet. Doch ist dies nicht das letzte Wort. Wenn die 2711 Stelen eine kaum übersehbare Menge vorstellen, so gibt die kleine Neigung, die sie aus der Lotrechten rückt, ihnen wieder Individualität. So wird auch der Besucher geleitet. Die schmalen Gänge vor den Stelen machen ihn zum Einzelwesen. Gruppen müssen sich hier auflösen, ein jeder nimmt seinen Weg, keine Hierarchie weist ihn an. Er muss als ein Einzelner sich zurechtfinden im Mahnmal und seinem Gegenstand.
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